DEUTSCH
Wir richten diesen Brief an:
- die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR)
- die Organisation amerikanischer Staaten - OAS
- den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte
- den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn Joe Biden
Die kolumbianische Zivilgesellschaft fordert die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR) und den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte dazu auf, eine umfassende Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen und der Unterdrückung der sozialen Proteste, die im Rahmen des aktuellen Nationalstreiks stattgefunden haben, durchzuführen. Seit dem 28. April 2021 kommt es in mehreren Städten des Landes zu Gewaltanwendung gegen Demonstranten, sowie Situationen des Mordes und Verschwinden von Personen.
Wir stellen diese Anfrage als unabhängige Bürger in verschiedenen Ländern, basierend auf folgendem Text, der von einer Gruppe von 650 Organisationen aus der ganzen Welt unterschrieben wurde.
Die Unterzeichnenden verurteilen den übermäßigen Einsatz von Gewalt durch Mitglieder der kolumbianischen Sicherheitskräfte als Reaktion auf die Demonstrationen, die am 28. April begannen und bis heute im ganzen Land andauern. Wir fordern den Staat auf, die willkürliche und exzessive Anwendung von Gewalt unverzüglich einzustellen, um weitere Verletzungen der Menschenrechte der Bürger zu verhindern. In Anbetracht der wichtigen Rolle, die die internationale Gemeinschaft in dieser Situation spielen kann, fordern wir die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAKMR) auf, die Zustimmung des Staates einzuholen, um einen Landesbesuch durchzuführen und eine unabhängige Überprufungsinstanz einzurichten, bei der Experten und Expertinnen die Situation und die Geschehnisse beurteilen.
Mehr als eine Woche nach Beginn der sozialen Demonstrationen, welche aufgrund der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem neuesten Steuerreformvorschlag, der Wirtschafts- und Gesundheitskrise, die im Rahmen des COVID-19 eingetreten ist und der Zunahme von Massakern und Morden an Menschenrechtsverteidigern, einberufen wurden, hat der Staat mit dem unverhältnismäßigen Einsatz von Schusswaffen und der Intervention der Streitkräfte reagiert. Dies hat bisher Dutzenden von Menschen das Leben gekostet und zu willkürlichen Verhaftungen, Strafverfolgungen, sexuellen Gewalttaten, Verschwindenlassen von Menschen und Hunderten von Verletzungen, sowie unzähligen Berichten über Polizeigewalt geführt.
Ebenso wurde eine hohe Anzahl von Angriffen der Sicherheitskräfte gegen die Presse nachgewiesen, begleitet von Aussagen von Beamten, Beamtinnen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die den Einsatz tödlicher Waffen unterstützen. Der Staat hat bisher keine offizielle Position gegen den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten eingenommen, während der Präsident die Handlungen der Streitkräfte als Kontrollfunktion der öffentlichen Ordnung verteidigt.
In Anbetracht dieser Tatsachen erinnern die Unterzeichner daran, dass das Recht auf Protest eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte spielt, da es stark mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlung und auf die Teilnahme an Fragen des öffentlichen Lebens verbunden ist. Der soziale Protest als Form des individuellen und kollektiven Handelns hat unter anderem den Entwurf von Ideen, die Sicherung der Grundrechte, und die Konstruktion einer Politik der sozialen Gerechtigkeit zum Ziel. Ebenso entstehen spezifische Verpflichtungen für die Staaten, die die Menschenrechte in Demonstrationskontexten respektieren, schützen und garantieren müssen, einschließlich der Garantie gekoppelter Aktivitäten, hauptsächlich Online-Aktionen, wie beispielsweise spontane Demonstrationsaufrufe über soziale Netzwerke. Darüber hinaus muss der Staat die Ausübung des Rechts auf Demonstration ohne jegliche Stigmatisierung sichern. Es ist daher besonders wichtig zu erinnern, dass das Heer in diesen Situationen nicht handeln sollten, da dessen Rolle und Ausbildung nicht auf diese Art von Intervention abzielt.
Ebenso erinnern wir daran, dass die Staaten gemäß den internationalen Standards verpflichtet sind, die Grundsätze der Legalität, der absoluten Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von Gewalt zu respektieren. Die Anwendung von Gewalt muss daher ein legitimes Ziel haben, wo keine weiteren Mittel zur Verfügung stehen, um den Schutz der Rechte auf Leben und der persönlichen Integrität zu ermöglichen, und in einem angemessenen Verhältnis zur bestehenden Gefahr sein.
Aus diesem Grund fordern wir den kolumbianischen Staat auf, die Anwendung von Gewalt und den Einsatz tödlicher und nicht tödlicher Waffen unverzüglich einzustellen, sexuelle Gewalt als Bestrafung und Folter einzustellen und seinen internationalen Verpflichtungen in Bezug auf das Protestrecht nachzukommen, einschließlich seiner Verpflichtung, die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts zu respektieren, zu schützen und zu erleichtern, sowie die Arbeit der Presse und der Menschenrechtsverteidiger vor Ort zuzulassen und zu garantieren. Darüber hinaus fordern wir den Staat auf, Räume für den Dialog und den Austausch mit der protestierenden Gesellschaft zu fördern.
Ebenso stellen wir fest, dass der Gewaltmissbrauch sich in den letzten drei Jahren mehrmals wiederholt hat, ohne das eine wirksame staatliche Reaktion, die die Überwindung der Straflosigkeit ermöglicht, einberufen wurde. Das aktuelle Szenario zeigt die Schwäche und den Mangel an politischem Willen zu agieren und diese Hindernisse zu überwinden.
Angesichts der schwachen institutionellen Situation und der Schwere der gemeldeten Verstöße fordern wir die IAKMR und den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte auf:
a. die Gewaltakte und die Unterdrückung der sozialen Demonstrationen in Kolumbien nachdrücklich zu verurteilen und
b. das Land zu besuchen, um die Schwere der Menschenrechtsverletzungen sowie die Straflosigkeit und die mangelnde Untersuchung ähnlicher Ereignisse in Vorjahren, zu überprüfen.
Ebenso halten wir es für wesentlich, dass die IAKMR vor Ort eine unabhängige Instanz für die Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden bei der Untersuchung errichtet, die zur Aufklärung der Vorfälle beiträgt, um so die Straflosigkeit für diese schwerwiegenden Ereignisse zu überwinden und Maßnahmen zu empfehlen, damit diese nicht erneut vorkommen.
Schließlich fordern wir alle Akteure und die Gesellschaft im Allgemeinen auf, das Protestrecht zu verteidigen, die unverhältnismäßige Gewalt, mit der die öffentlichen Kräfte im Rahmen sozialer Proteste in Kolumbien handeln, nachdrücklich zu verurteilen und die von der Bevölkerung geforderten einschlägigen Reformen zu fordern.